Zwei Millionen Euro weniger Energiekosten: Becker Robotic punktet mit Vier-Komponenten-System
Wärmepumpe, PV, Wind und Speicher helfen dem Dülmener Unternehmen rund 336 Tonnen CO2 im Jahr einzusparen
Die Firma montiert in Dülmen unter anderem Roboterteile für Autohersteller.
Foto: Frank Wiedemeier, EnergieAgentur.NRWUm zwei Millionen Euro Energiekosten zu sparen, wagte Andries Broekhuijsen mit seiner Firma Becker Robotic den großen Wurf: der Umzug in eine alte Kaserne in Dülmen sollte mit großen Innovationen einhergehen.
Die leerstehende Kaserne Sankt Barbara, die noch bis 2002 in Benutzung war, stand nach Abzug der Truppen erst einmal zehn Jahre leer, bis der Unternehmer Broekhuijsen die Initiative ergriff: „Ende 2010 habe ich das erste Gespräch mit der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben in Münster gesucht und heute ist bis auf ein Grundstück auf dem Kasernenareal alles komplett vermarktet.“
Sein Unternehmen ist in dem neuen Gewerbegebiet das Vorzeigeobjekt. Mit den vier Komponenten Wärmepumpe, Photovoltaik, Windenergie und Speicheranlagen spart er pro Jahr rund 100.000 Euro an Energiekosten, die sich über einen Zeitraum von 20 Jahren zu etwa zwei Millionen Euro summieren. In diesem Zeitraum hat er die ursprünglichen Investitionskosten von 800.000 Euro mehr als gedeckt und fragt sich heute: „Warum macht das nicht jeder?“
Geschäftsführer Andries Broekhuijsen im Keller mit seinen Speichereinheiten: Per App kann er die aktuellen Speicherstände einsehen .
Foto: Frank Wiedemeier, EnergieAgentur.NRW„Die Kopplung der installierten Photovoltaikanlage mit einem Batteriespeicher und einer reversiblen Wärmepumpe zur Wärme- und Kälteversorgung ist ein optimales Beispiel für eine zukunftsgerichtete Energieversorgung in Gewerbegebieten“, findet auch Lars Schnatbaum-Laumann, Experte im Themenbereich erneuerbare Energien bei der EnergieAgentur.NRW.
Zu dem Firmensitz, den Broekhuijsen mit der Becker GmbH im Februar 2018 an der Heinrich-Leggewie-Straße 10 in Dülmen bezogen hat, zählt eine Produktionshalle in einer Größe von 36 x 122 Metern. Das danebengelegene ehemalige Kraftwerk wurde saniert und als Bürogebäude für Konstruktion, Vertrieb und Verwaltung umgebaut. An der Heinrich-Leggewie-Straße 8 nutzt die Firma Becker bereits Räumlichkeiten in der ehemaligen Kranhalle mit einer Fläche von etwa 1.000 m². Weitere Flächen des Gebäudes mit einer Gesamtfläche von 4.000 m² sowie offene Unterstellplätze mit einer Gesamtfläche von etwa 3.000 m² sind fremdvermietet. In den ehemaligen Lagerhallen, einem Produktionsgebäude sowie diversen Büroflächen, sind nun unter anderem eine Tierarztpraxis, eine Fahrschule, eine Werbeagentur, ein Versandbetrieb sowie eine Spedition eingezogen.
Jahresstrom-Bilanz für Produktionsprozesse, Heizung und Kühlung
Der Gesamt-Jahresstromverbrauch an der Heinrich-Leggewie-Straße 10 beträgt rund 315 Megawattstunden (MWh). Produktionsprozesse einschließlich Beleuchtung, EDV-Anlage, E-Gabelstapler und dezentrale Fünf-Liter-Warmwasserspeicher verbrauchen etwa 100 MWh. Zudem werden 215 MWh für die Heizung und Kühlung mittels einer elektrisch angetriebenen Luft/Wasser-Wärme-Pumpe für den Wärme- und Kühlbedarf des Produktions- sowie Bürogebäudes genutzt.
Die Heizung in der Produktionshalle wird mittels Betonkern-Aktivierung betrieben, im Bürogebäude als konventionelle Fußbodenheizung. Die Wärmepumpe funktioniert reversibel und wird in der Sommerzeit für die Kühlung aller Räumlichkeiten eingesetzt. „Wir sind begeistert von dem Ergebnis. Die Luft ist weitaus besser als die von herkömmlichen Klimaanlagen, denn die ist oft viel zu trocken und macht krank. Im letzten heißen Sommer haben wir es hier genossen, da hatten wir höchstens 26 Grad in den Produktionshallen. Das freut die Mitarbeiter“, weiß der Geschäftsführer.
Der Gesamt-Jahresstromverbrauch auf der Heinrich-Leggewie-Straße 8 beträgt derzeit 50 MWh und teilt sich auf die verschiedenen Verbraucher auf (Becker GmbH, ba-systems, Tierarztpraxis, sieben Gäste-Apartments und weitere).
Energiekonzept mit Strom, der vor Ort produziert wird
Dem Energiekonzept für die Heinrich-Leggewie-Straße 8 - 10 lagen folgende Ziele zugrunde:
80-90 Prozent des Jahresbedarfs an elektrischer Energie wird vor Ort erzeugt
es wird zu keinem Zeitpunkt mehr als 100 Kilowatt (kW) Leistung aus dem Versorgungsnetz bezogen
es wird zu keinem Zeitpunkt mehr als 100 kW Leistung zurück ins Versorgungsnetz geliefert
Um diese Ziele zu erreichen kommen vier Bausteine zum Einsatz:
1. Luft/Wasser-Wärmepumpe
Eine reversible Viessmann Luft/Wasser-Wärmepumpe mit einer elektrischen Leistungsaufnahme von rund 42 kW, die Heizleistung beträgt in etwa 135 kW, die Kühlleistung 176 kW. Es wird eine Split-Lösung umgesetzt, wobei die Wärmepumpe im Untergeschoss des Gebäudes und der Wärmetauscher außerhalb des Gebäudes aufgestellt sind. Im Bürogebäude wird grundsätzlich klimatisiert mittels Fußbodenheizung, kombiniert mit Betonkern-Aktivierung in der Produktions- und Lagerhalle. Ein Pufferspeicher zum Heizen à 2.000 Liter sowie ein Pufferspeicher zum Kühlen à 2.000 Liter werden als zusätzliche Energiespeicher genutzt.
2. PhotovoltaikDie Produktionshalle ist mit moderner LED-Technik ausgestattet, um den Stromverbrauch möglichst gering zu halten.
Foto: Frank Wiedemeier, EnergieAgentur.NRW
Zwei bis vier PV-Anlagen mit jeweils 99 Kilowatt peak (kWp), Gesamtkapazität max. 396 kWp auf dem Hallendach, errechneter Jahresertrag: 342 MWh (vier Anlagen geplant, 2 installiert seit 06.2019).
PV-Anlagen - betrieben in Verbindung mit Stromspeicher-Einheiten - dürfen nur bis zur Hälfte ihrer maximalen kWp-Leistung (im vorliegenden Fall pro Anlage à 99 kWp maximal 49,5 kW Einspeiseleistung) ins Netz einspeisen. Ein entsprechender Energie-Überschuss muss direkt in Eigenverbrauch umgesetzt oder in Stromspeicher-Einheiten zwischengespeichert werden. Die entsprechenden PV-Anlagen werden zu unterschiedlichen Terminen errichtet und in Betrieb genommen, jeweils immer in Kombination mit einer Stromspeicheranlage.
3. Windenergie
Noch in Planung, aber bereits vorgenehmigt, ist eine Kleinwindenergieanlage (KWEA) für rund 5 m/s durchschnittlicher Jahreswindgeschwindigkeit in etwa 40 m Höhe über Boden, Windklasse III oder IV nach IEC 61400. Zur Auswahl stehen beispielsweise eine 60 kW KWEA eines süd-europäischen Herstellers oder eine 99,5 kW direkt angetriebene Anlage mit 2-blättrigem 30 m Rotor, stallgeregelt. Der geplante Jahresertrag am Einbauort beträgt rund 175,4 MWh gemäß Gutachten des Büros Eurowind, Köln. Eine bauamtliche Genehmigung (Vorbescheid) seitens der zuständigen baubehördlichen Stellen wurde erteilt. „Wir standen bei der Errichtung der Windenergieanlage vor unerwarteten Problemen: Es gibt fast keine Firmen mehr, die Windenergieanlagen in der Größe 50-100 kW herstellen. Wir haben nur zwei Hersteller gefunden, die sitzen beide in Italien. Wir haben auf eine Kleinwindenergieanlage gesetzt, weil diese Anlagen nicht unter das Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) fallen. Zwar mussten wir dennoch einige Untersuchungen zum Lärmschutz, Schattenwurf und ökologischen Faktoren veranlassen, aber die waren weniger aufwändig als die Vorschriften gemäß BImSchG“, erklärt Broekhuijsen.
4. Stromspeicher400 kW Gesamtspeicherkapazität stehen zur Verfügung, um den aus den Photovoltaik-Anlagen gespeicherten Strom zu speichern.
Foto: Frank Wiedemeier, EnergieAgentur.NRW
Eine wichtige Komponente, um für sonnen- und windarme Tage vorzusorgen, ist ein Stromspeicher. Im Gebäude von Becker Robotic gibt es zwei Stromspeicher-Anlagen für jeweils zwei PV-Anlagen, bestehend aus jeweils vier Speicher-Einheiten. Für die erste PV-Anlage stehen vier Fenecon Commercial 40-40 Speicher im Keller, für die zweite PV-Anlage vier Fenecon Commercial 50-240. Als gesamtnutzbare Speicherkapazität liegen damit vier Einheiten à 40 kWh und vier Einheiten à 60 kWh vor. Das entspricht 400 kWh Gesamtspeicherkapazität. Eine Entscheidung hinsichtlich Speicher-Einheiten und weiteren PV-Anlagen steht noch aus. Zudem gibt es in dem Gebäude einen Gasbrennwertkessel mit einer Heizleistung von 310 kW, der bei Tiefsttemperaturen im Winter zwecks Kompensation von Spitzen in der Wärmeanforderung genutzt wird. „Das mit den Stromspeichern habe ich nicht nur aus Überzeugung gemacht“, so der Unternehmer über sein Energiekonzept, „denn tagsüber, wenn wir Strom übrighaben, kriegen wir nur 10 Cent dafür. Kaufen wir ihn nachts zurück, kostet er 25 Cent.“ Mit dem Zwischenspeichern spare er also auch Energiekosten.
Prognose der Energie- und ÖkobilanzDas Energiekonzept hat der Geschäftsführer von Becker Robotics für die Gebäude an der Heinrich-Leggewie-Str. 8-10 selber erarbeitet .
Foto: Frank Wiedemeier, EnergieAgentur.NRW
Mit seinem Energiekonzept will Andries Broekhuijsen nicht nur viel Geld sparen, sondern auch für die Zukunft vorsorgen: „Solch eine Hitze, wie es die in den letzten Jahren gab, kennt man aus der Jugend nicht. Es ist unheimlich, dass das jetzt passiert.“ Als gebürtiger Niederländer hat er Angst davor, dass in absehbarer Zeit halb Holland unter Wasser stehen wird. Mit seinem rund 100 Mitarbeiter starken Betrieb, den er vor 25 Jahren als Ein-Mann-Firma gegründet hat, will er in den nächsten 20 Jahren 6.721 Tonnen CO2 einsparen. Pro Jahr wird die erzeugte elektrische Energie durch Photovoltaik (vier Anlagen mit 342 MWh) und die Kleinwindanlage (ca. 175 MWh) bei etwa 517 MWh liegen. Aus dem Versorgungsnetz muss daher an elektrischer Energie nur etwa 38 MWh pro Jahr bezogen werden, das entspricht etwa 10 Prozent des Jahresverbrauchs. Der Bezug wird verursacht durch kurzzeitig fehlende Energie-Erzeugung mittels PV und KWEA (zu wenig Sonne, zu wenig Wind) und gleichzeitig leergefahrene Stromspeicher. Der Gesamtjahresbedarf an elektrischer Energie liegt bei 365 MWh und die Lieferung elektrischer Energie zurück ins Versorgungsnetz bei 190 MWh pro Jahr.
Die Ökobilanz für die Grundstücke Heinrich-Leggewie-Straße 8 - 10 sieht vor, in den nächsten 20 Jahren 517 MWh pro Jahr einzusparen, das entspricht 517 x 0,650 t = 336 t Kohlendioxid im Jahr.