Was sind virtuelle Kraftwerke genau?
Dr. Günter Stock: Virtuelle Kraftwerke sind ein Zusammenschluss von dezentralen Einheiten im Stromnetz, wie z. B. PV-Anlagen, Windparks, Biogasanlagen, BHKW aber auch aggregierte Kleinanlagen und wenn sinnvoll Großkraftwerke (z. B. als Besicherung), die über ein gemeinsames Leitsystem koordiniert werden. Ziel dieses Kraftwerkes ist die gemeinsame Vermarktung von Strom und Flexibilität aus dem Schwarm der aggregierten Anlagen.
Durch den Ausbau der erneuerbaren Energien ergeben sich veränderte Anforderungen an das Erzeugungsportfolio, an die Netzstabilität und an die Vermarktung von Elektrizität. Gefragt ist daher eine Lösung, die dezentrale Erzeuger, Verbraucher und Speicher in ihrer topologischen Struktur technisch insgesamt verbindet. Das ist die Aufgabe Virtueller Kraftwerke, die entweder lokal oder auch über ganze Versorgungsnetze hinweg erfüllt werden kann. Voraussetzung einer stabilen Stromversorgung ist dabei die Einhaltung einer ausgeglichenen Bilanz zwischen Erzeugung, Speicherung und Verbrauch. Gleichzeitig soll der Einsatz der Energie wirtschaftlich optimiert werden. Also entweder sollen minimale Kosten oder bei Marktanbindung maximale Gewinne des Gesamtsystems entstehen. Virtuelle Kraftwerke können somit zur bestmöglichen Vermarktung der Energie aber auch zur Kostenminimierung und gleichzeitig Stabilisierung des Netzbetriebs dienen. Wir haben seit 2006 Virtuelle Kraftwerke mit unserer KISTERS Virtual Power Plant Management (VPPM) Lösung ausgerüstet, mit der aktuell viele hundert Anlagen hochautomatisiert gesteuert werden. VPPM nutzt dafür Algorithmen der künstlichen Intelligenz zur Prognose und Optimierung. Hinzu kommen Module für leittechnische Überwachung, Steuerung, Handel und Geschäftsprozessabwicklung.
Inwiefern unterstützen diese Kraftwerke die Integration erneuerbarer Energien und können den Ausbau dieser fördern?
Grafik: EnergieAgentur.NRW
Volkswirtschaftlich ist die die verstärkte Nutzung von Flexibilitätspotentialen z. B. zum Peak-shaving sinnvoll und auch von der Bundesregierung gewünscht. Aber auf der betriebswirtschaftlichen Ebene ist die Umsetzung noch nicht so ausgeprägt wie wünschenswert. Teilen Sie diese Einschätzung und was müsste anders sein, um die Flexibilitätsmärkte zu beleben?
Sie haben völlig Recht. Die Nutzung von vorhandenen Flexibilitätspotenzialen scheitert allerdings eher an zu geringer Vergütung und an unpassender Regulierung. Ein wesentlicher Knackpunkt ist also die unbefriedigende Vergütung von Flexibilität. Das gilt für Stromhandel und speziell auch für Regelleistung.
In der deutschen Industrie ist die Hebung des Lastmanagementpotentials zur Bereitstellung von Flexibilität in den letzten Jahren nur schleppend voran gegangen. Seit kurzem sind nun die IT-Anforderungen für die Anbindung von kleinsten Anlagen unter 100 kW, wie Wärmepumpen, Elektroautos, Heim-Batteriespeicher, an virtuelle Kraftwerke in Deutschland gesenkt worden. Wie sehen Sie die Rolle von kleinsten Anlagen auf Haushaltsebene zur Bereitstellung von Flexibilität für die Energiewirtschaft?
Es gibt zahlreiche Untersuchungen zu den Flexibilitätspotenzialen der Industrie, die aber bei diesem oben genannten schlechten Preisniveau nicht genutzt werden. Die Erschließung dieser Kleinstanlagen erfordert eine extrem einfache und preiswerte Anbindung an die Virtuellen Kraftwerke. Die Anbindung erfolgt über die Smart Meter über die sog. CLS-Schnittstelle. In Deutschland sind wir mit dem Smart Meter Rollout relativ spät.
Welche Rolle spielen die regulatorischen Rahmenbedingungen? Welche Änderungswünsche oder Vorschläge haben Sie?
Zunächst müsste das Thema der EEG-Umlage für die Speicherung als wesentlichem Flexibilitätspotenzial aus unserer Sicht anders geregelt werden. Zurzeit werden Speicher als Letztverbraucher gesehen und damit beim Einspeichern mit der EEG-Umlage belastet. Nach dem Ausspeichern wird der eigentliche Verbraucher nochmals belastet. Aus unserer Sicht ist das ein ganz wesentlicher Hinderungsgrund für die verstärkte Nutzung von Flexibilität aus Speichern und für den Zubau von Speichern, der aber notwendig ist.
Welchen Einfluss werden Ihrer Meinung nach Smart Meter in den nächsten Jahren haben bzgl. einer Echtzeit-Bewirtschaftung von Bilanzkreisen und der Bereitstellung von Flexibilitäten?
Wir sehen darin eine entscheidende Voraussetzung für die Nutzung der verteilten dezentralen Flexibilitäten und auch für die zukünftig zu erwartende Nutzung von Überschussstrom aus Erneuerbaren über Sektorkopplung (P2H, P2G, P2x). Diese im Virtual Power Plant Management (VPPM) in Cluster zusammengefassten Kleinstanlagen dürfen nur ganz wenig Aufwand für Vor-Ort Installation oder Einrichtung verschlingen, sonst ist das unwirtschaftlich.
In den vergangenen Wochen haben einige europäische Übertragungsnetzbetreiber, Tennet, Swissgrid und Terna, die eigene Plattformlösung „equigy“ für die Bündelung von Kleinstflexibilitäten vorgestellt. Dies kann erheblichen Wettbewerbsdruck für unabhängige Betreiber virtueller Kraftwerke bedeuten. Wie schätzen Sie die Marktdynamik der diversen neuen Player in der Energiewirtschaft ein?
Diese Ansätze sind als Anbieter von VPPM-Lösungen nicht neu für uns. Es ist eigentlich zu begrüßen wenn mehr Dynamik in den Markt kommt. Wir setzen bei VPPM als Anbieter auf eine integrierte modulare Gesamtlösung, die das komplette Spektrum für den Kunden abdecken kann. Wir betreiben und bieten aber auch seit diesem Jahr eine solche Community-Plattform zur Vermarktung von Regionalstrom. Aus meiner Sicht muss allerdings der entscheidende Impuls durch wirtschaftlich attraktive Flexibilitätsmärkte und passgenaue Regulierungsansätze kommen. Die technische Lösung ist lediglich Voraussetzung.
Einige Forschungsprojekte haben in den letzten Jahren die Ausgestaltung der viel diskutierten regionalen Flexibilitätsmärkte erforscht. Wie sehen Sie die Bereitstellung von Flexibilität auf regionaler Ebene und denken Sie, dass eine Umsetzung bald möglich wird?
Wir haben uns ebenfalls in Studien zur Post-EEG Nutzung damit beschäftigt. Auch hier ist der Schlüssel eine geeignete wirtschaftlich tragfähige Vermarktung des Stroms, z. B. neben den Strommärkten als lokaler Ökostrom oder als Grünstrom. Ein neuer Impuls kommt gerade jetzt vom bis 2021 von den Netzbetreibern umzusetzenden neuen und deutlich erweiterten Redispatch-2.0-Prozess. Damit werden Verteilnetzbetreiber (VNB) zu einer tragenden Säule des Redispatchings und damit auch für die netzdienliche Nutzung von Flexibilitäten auf den Ebenen der Verteilnetze. Hierdurch könnten ebenfalls wichtige Impulse zu lokalen Flexibilitätsmärkten auf Ebene der Verteilnetze entstehen, wenn denn die Netzbetreiber selber solche Flexibilitäten zur Netzstabilisierung beschaffen und managen dürften. Bisher dürfen Netzbetreiber wegen des Unbundlings keine eigenen Flexibilitäten bewirtschaften. Sie schreiben ihren Bedarf über Regelenergie aus. Hier wäre eine passgenaue Änderung der Regulierung ein Schlüssel, der vielleicht die Tür zu diesen regionalen Flexibiltätsmärkten öffnen könnte.
Verena Barton M. A.
Kommunikation
EnergieAgentur.NRW
0202 24552517
barton@energieagentur.nrw
Twitter
XING
Sie erreichen die EnergieAgentur.NRW außerdem werktags von 8 bis 18 Uhr über die Hotline unter 0211 - 8371930.