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Herr Wilms, Klimawandel und Energiewende gelten als große Herausforderungen. Bereiten Ihnen diese Herausforderungen Kopfzerbrechen oder bleiben Sie noch gelassen?
Das Kopfzerbrechen ist bei uns eher positiv besetzt, nämlich in Form von kreativem Gestalten. Wir arbeiten täglich mit allen Kolleginnen und Kollegen an optimierten Recyclingverfahren, die einen erheblichen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Auch die CO2-neutrale Energieerzeugung mittels biogener Abfälle und thermische Verwertung von stofflich nicht mehr zu recycelnden Restmaterialien gehört dazu. Unser Ziel ist es dabei immer, Kreisläufe zu schließen und in Zukunft möglichst alles stofflich wiederzuverwerten. Nur mit vollständigem Recycling aller von Menschen verbrauchten Stoffe können Klimaschutz und Rohstoffversorgung Hand in Hand gelingen. Im Lippewerk in Lünen und an vielen anderen Standorten zeigen wir bereits heute, wie das geht.
Wie bewerten Sie die Situation gesamtgesellschaftlich – und für Ihr Unternehmen: Ist der Klimawandel Motivation und Antriebsmotor? Oder wirkt er lähmend auf Veränderungsprozesse/nötige Modernisierungen?
Der Klimawandel ist eine große Motivation und befördert Innovationsschübe. Er und die Rohstoffknappheit unserer Erde sind unsere planetaren Begrenzungen, auf die sich jedes Wirtschaften der Zukunft einstellen muss. Wenn wir wettbewerbsfähig bleiben wollen, geht das nur über weitreichende Veränderungen in den Schlüsselbereichen menschlichen Wirtschaftens. Das sind im Wesentlichen die Energieerzeugung, die Mobilität, das Bauwesen, die Landwirtschaft und die Industrieproduktion. Die gemeinsame Klammer aller Bereiche ist das Recycling und die daraus resultierende Bereitstellung CO2-neutraler Rohstoffe und Energie. Das hat auch die EU erkannt und in ihrem 'Green Deal' die Kreislaufwirtschaft ausdrücklich als Schlüsselindustrie für den Klimaschutz definiert. Für REMONDIS ist das schon heute unser Kerngeschäft.
Wie ist der Grad der Innovation einzuordnen? Gibt es dafür bereits Vorbilder oder vergleichbare Werke – zum Beispiel im benachbarten europäischen Ausland?
Was den Grad der Innovation in Sachen Recycling anbelangt, ist Deutschland sicher heute schon Vorreiter. Viele, wenn nicht die meisten neuen Recyclingverfahren werden hierzulande entwickelt und kommen dann im Idealfall auch im europäischen Ausland zur Anwendung. Allerdings verschiebt sich diese Gewichtung seit ein paar Jahren zunehmend in Richtung Asien und hier vor allem China. Das Land hat uns bei den Patentanmeldungen mittlerweile überholt. Wir müssen also aufpassen, nicht zu selbstgefällig zu werden, sonst drohen wir unsere Marktführerschaft zu verlieren.
Was hat Recycling mit Klimaschutz zu tun? Und kann die Kreislaufwirtschaft die Lösung für den Ressourcenhunger eines auf Wachstum angewiesenen Wirtschaftens sein? Und wie klimaschonend ist das Lippewerk? Lässt sich das quantifizieren?
Recycling hat zur Gänze etwas mit Klimaschutz zu tun und das lässt sich auch eindeutig quantifizieren. Nehmen wir einmal die Beispiele Kunststoffe und Aluminium. Jede Tonne recycelter Kunststoff spart zwischen 1,2 und 1,6 Tonnen CO2 ein, ganz einfach schon deshalb, weil für diesen Rohstoff niemand irgendwo auf der Welt tiefe Löcher bohren und Erdöl an die Oberfläche pumpen muss, das dann um die halbe Welt transportiert werden muss, vom klimaschädlichen Raffinierungsprozess mal ganz abgesehen. Bei der Produktion von recyceltem Aluminium wird 96% weniger CO2 ausgestoßen, als bei der Primärproduktion aus Bauxit, das obendrein oft auch noch landschaftszerstörend abgebaut wird. Der Energieaufwand für Aluminiumrecycling liegt gerade einmal bei 5% im Vergleich zum Primärprozess. Das sind nur zwei von sehr vielen Beispielen für die klimaschützende Wirkung von Recycling. Das REMONDIS-Lippewerk in Lünen ist dafür der praktische Beweis. Der Standort wurde von der Landesregierung NRW in Bezug auf die CO2-Bilanz wissenschaftlich überprüft und dann sogleich zu einem der wichtigsten Exponate der KlimaExpo NRW ernannt. Alleine an diesem einen Standort sparen wir durch Recycling eine knappe halbe Million Tonnen CO2 jedes Jahr ein. Das ist eine echte Klimafabrik! Trotzdem gehört zur Wahrheit auch, dass wir nicht den kompletten Rohstoffbedarf der Industrie durch Recyclingrohstoffe decken können. Aber je mehr wir das tun, desto autarker werden wir.
Eigentlich spielt Ihnen der European Green Deal doch in die Karten, oder? Wie bewerten Sie das?
Grundsätzlich bewerten wir den European Green Deal positiv, betont er doch erstmalig die Bedeutung der Kreislaufwirtschaft für Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Ob sich dieses positive Momentum auch zügig in mehr und bessere Investitionen übertragen wird, bleibt abzuwarten. In Europa gibt es heute noch viel zu große Unterschiede beim Umgang mit Abfällen und Reststoffen. Unser gemeinsames Ziel muss Zero Waste sein, also der Punkt, an dem es den Begriff Abfall praktisch gar nicht mehr gibt, nur noch Rohstoffe, die endlos im Kreis geführt werden können. Dazu muss zunächst einmal europaweit die Deponierung von Abfällen aufhören, denn solange einzelne Länder ihren Abfall noch billig deponieren können, wird dort niemand Geld für Recycling in die Hand nehmen.
Was ist technisch machbar? Wo sehen Sie die Grenzen der Wiederverwendung von Abfällen?
Technisch machbar ist heute schon viel mehr, als tatsächlich gemacht wird. Die Grenzen der Wiederverwertung von Abfällen liegen nämlich meistens nicht in fehlender oder unausgereifter Technik, sondern in der Art und Weise, wie wir unsere Produkte herstellen. Deshalb fordern wir als Unternehmen und über unseren Verband BDE die EU dazu auf, die Ökodesignrichtlinie, die sich bislang fast ausschließlich um den Energieverbrauch von Produkten dreht, um das Kriterium der Rohstoffeffizienz zu erweitern. Alle Produkte und Verpackungen müssen zukünftig schon in der Designphase so konzipiert werden, dass man möglichst 100% der darin enthaltenen Rohstoffe am Ende des Produktlebenszyklus auch wieder recyceln kann. Private, industrielle und vor allem auch öffentliche Einkäuferinnen und Einkäufer sollten über ein entsprechendes Recyclinglabel erkennen können, dass ihre Kaufentscheidung auch von der umweltfreundlichen Rohstoffeffizienz abhängig ist. Gleichzeitig sollten Unternehmen, deren Produkte und Verpackungen nicht nachhaltig und klimaschonend produziert werden, im Markt schlechter gestellt werden als, diejenigen, die sich an die Spielregeln der Kreislaufwirtschaft halten. Und echte Kreislaufwirtschaft, also circular economy, beginnt nicht im Abfall, sondern im Produkt.
Gibt es konkrete Kooperationen mit EE-Betreibern, zum Beispiel im Bereich der Windkraft, wo in den kommenden Jahren nach Expertenschätzung bis zu 45.000 alte Rotorblätter aus Glasfaser- (GFK) und Carbonfaser-verstärkten Kunststoffe (CFK) entsorgt werden müssen? Wie könnte ein Beitrag von REMONDIS dazu aussehen?
Wir sind fortlaufend im Gespräch mit den Herstellern von Windenergieanlagen und politischen Entscheidern, um die potenziell negativen Begleiterscheinungen der Energiewende zu minimieren. Dabei geht es vor allem um die Rotorblätter der Anlagen, alles andere lässt sich schon heute zu 100% recyceln. Aber die Rotorblätter sind aus Verbundmaterial und das ist grundsätzlich ein Problem, nicht nur bei Windrädern. Wenn unterschiedliche Stoffe so miteinander verschweißt und verklebt werden, dass man sie nachher nicht mehr separieren kann, sind sie für den Kreislauf verloren. Deshalb sagen wir immer: Was der Mensch verbindet, das soll er auch wieder trennen können! Wir sind nicht die Produzenten solcher Rotorblätter, aber wir können zeigen, was gutes Produktdesign leisten kann!
Dr. Joachim Frielingsdorf
Leiter Kommunikation und Pressesprecher
Leiter Wissensmanagement
EnergieAgentur.NRW
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