Foto: Privat
Haben wir derzeit ein Flexibilitätsproblem im Energiemarkt?
Viele Stimmen sagen, dass wir kurzfristig kein Flexibilitätsproblem haben; es aber mittel- und langfristig kritisch werden kann, mehr Flexibilität im System bereitzustellen. Der Grund für diese zukünftige Situation ist, dass der steigende Anteil fluktuierender erneuerbarer Energien und der Wegfall der gesicherten Leistung von Kern- und Kohlekraftwerken mehr Flexibilität im System fordern wird.
Allerdings sind die zu erlösenden Preise für Flexibilität in den vergangenen Jahren deutlich gesunken, sodass die Geschäftsmodelle für flexible Anlagen nicht mehr so ertragreich sind wie vor einigen Jahren. Einer der Gründe ist sicherlich die Überkapazität an Kraftwerksleistung, die am Markt derzeit angeboten wird. Zudem wurde eine Flexibilisierung der Energiemärkte bereits durch diverse Mechanismen erreicht, die im vergangenen Jahr regulatorisch umgesetzt wurden, wie zum Beispiel kurzfristigere Handelsoptionen.
Hier spricht auch einiges dafür, dass wir schon heute mehr Flexibilität benötigen. Der Anteil erneuerbarer Energie, die abgeregelt werden musste, hat in den vergangenen Jahren zugenommen. Und auch die Kosten für Eingriffe in das Energiesystem wie Redispatch, Countertrading und die Vorhaltung von Reservekraftwerken sind stark gestiegen. Mit der derzeitigen Ausgestaltung des Energiemarkts wird dieser Bedarf an Flexibilität aber nicht am Energiemarkt direkt durch hohe Preisspannen sichtbar. Zudem gibt es diverse strukturelle Hemmnisse, sodass Geschäftsmodelle für Flexibilitäten derzeit schwerer zu realisieren sind.
Welche Technologien bringen neue Entwicklungen im Bereich Flexibilitäten?
Der Trend der Sektorkopplung bietet dem Energiesystem neue Flexibilisierungsmöglichkeiten. Da sind zu einem Stromanwendungen in hohen Leistungsklassen im Wärmebereich zu nennen wie Heizstäbe und Wärmepumpen. Aber auch dezentrale, kleine Anlagen, die auf Niederspannungsseite stehen – und somit dort, wo ein großer Teil der erneuerbaren Energien einspeist – können Flexibilität erbringen. Die wachsende Anzahl von potenziell flexiblen Anlagen im Haushalts- und Gewerbebereich wie Wärmepumpen, elektrische Wasserboiler, Speicher, Klimaanlagen und Elektrofahrzeuge bietet eine manuelle oder automatisierbare Flexibilität. Insbesondere für den Endverbraucher unbemerkte, automatische Steuerungseingriffe bieten ein implementierbares Potenzial mit hoher Akzeptanz.
Derzeit bestehen allerdings strukturelle und wirtschaftliche Hürden, die die Einbindung dieser Anlagen in den energiewirtschaftlichen Prozess behindern. Mit der Umsetzung des Clean Energy Packages werden wir zumindest rechtlich einige Änderungen für den am Energiemarkt „aktiven Kunden“ sehen.
Zudem bringt der anstehende Rollout der Smart Meter viele Möglichkeiten mit sich. Smart Meter bedingen den Aufbau einer Kommunikationsinfrastruktur. Diese kann zusätzlich zur Fernauslesung auch zum Übertragen von Steuerungssignalen an Anlagen genutzt werden. Werden intelligente Messsysteme zusätzlich mit Steuerungstechnik ausgerüstet, können diese genutzt werden, um ein intelligentes Management von flexiblen Anlagen zu ermöglichen. Werden diese Anlagen von einer zentralen Plattform aus gesteuert, kann hier ein Multi-Use-Ansatz verfolgt werden, sodass die Anlagen für unterschiedliche Anwendungen genutzt werden können.
Wie gestaltet sich derzeit der regulatorische Rahmen für die Vermarktung von Flexibilität im Energiemarkt?
Wie wir wissen, gibt es einige regulatorische Hemmnisse für eine flexible Fahrweise von Verbrauchern und Erzeugern. Gleichzeitig wird die Wichtigkeit der Flexibilisierung des Energiesystems auch im politischen Rahmen immer wieder betont. Das EU-Winter-Paket adressiert unter anderem das Ziel, den Markt flexibel zu gestalten und widmet sich dem Thema Flexibilität in diversen Richtlinien. Mit der Umsetzung des Clean Energy Packages der EU können wir einige Änderungen erwarten, die auch das Thema Flexibilität tangieren wird. Auch in der Energiestrategie des Landes NRW wird das Thema Flexibilität vielfach erwähnt. Die Landesregierung setzt sich für verbesserte regulatorische Rahmenbedingungen zur Erschließung von Flexibilitätspotenzialen für alle Marktakteure ein.
Derzeit stehen allerdings viele Fragen offen, was die Rahmenbedingungen angeht und somit auch den Handlungsrahmen unsicher macht. Es sind einige Veränderungen schon auf dem Weg. Mitte 2020 wird mit der Einführung des Regelarbeitsmarkt in Deutschland ein neues Marktdesign für Regelenergie eingeführt. Dies ermöglicht gerade neuen Technologien, denen eine frühzeitige Leistungsvermarktung schwerfällt, die Teilnahme am Regelenergiemarkt. Zudem wird auch die Ausgestaltung des § 14a EnWG zu steuerbaren Verbrauchseinrichtungen in den kommenden Jahren neue technische und vertriebliche Möglichkeiten bringen.
Foto: Privat
Sie erreichen die EnergieAgentur.NRW außerdem werktags von 8 bis 18 Uhr über die Hotline unter 0211 - 8371930.