Foto: MWIDE NRW/F. Wiedemeier
Zuletzt ist häufiger erklärt worden, Corona wirke wie ein Katalysator, der Entwicklungen beschleunige. So heißt es, Corona könne den Kohleausstieg beschleunigen. Wie bewerten Sie das?
In den vergangenen Wochen ist der Anteil der Kohle an der Stromerzeugung tatsächlich drastisch zurückgegangen. Das ist allerdings ein Phänomen, das den besonderen Corona-Umständen geschuldet ist. Die genaue Ausgestaltung, mit der eine Reduktion der Kohleverstromung im Einklang mit dem energiepolitischen Zieldreieck von Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Klimaschutz gelingen kann, stellt eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung dar und betrifft eine Vielzahl von Akteuren, insbesondere im Energie- und Industrieland Nordrhein-Westfalen. Deshalb ist es ein gutes Zeichen, dass im Rahmen der Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung ein Konsens erzielt werden konnte, der die unterschiedlichen Interessen berücksichtigt und die Erreichung ehrgeiziger Klimaziele mit einer weiterhin bezahlbaren und zuverlässigen Energieversorgung kombiniert, regulatorische Planungssicherheit für die Marktakteure sichert und einen sozialverträglichen Strukturwandel in den betroffenen Regionen einleitet.
Sie fordern nach dem Energieministertreffen im Mai Anreize für Investitionen und Strom solle möglichst billig werden. Gibt es mit billigem Strom überhaupt einen Anreiz für private Investitionen? Wie können die Anreize aussehen und wie sollen sie wirken?
Eine Entlastung auf der Kostenseite setzt bei Unternehmen und Endverbrauchern gleichermaßen Kapital für Investitionen frei. Wir schaffen darüber hinaus etwa mit unserem Förderprogramm „progres.nrw – Markteinführung“ Anreize für Bürgerinnen und Bürger, klimafreundliche Technologien beispielsweise im Bereich der Heiztechnik einzusetzen. 2019 haben wir hier Fördergelder in Rekordhöhe von mehr als 23 Millionen Euro bewilligt. Zudem fördern wir seit Ende 2017 den Bereich Elektromobilität. Im Jahr 2019 stand hierfür ebenfalls eine Rekordsumme bereit: rund 40 Millionen Euro. Auch auf der Seite des produzierenden Gewerbes besteht ein hoher Handlungsdruck. Als Landesregierung unterstützen wir die Industrie dabei und haben mit IN4climate.NRW eine Initiative ins Leben gerufen, in der gemeinsam mit Industrie und Wissenschaft daran gearbeitet wird, innovative Ansätze zu entwickeln sowie Lösungen und Anwendungen für eine klimaneutrale und wettbewerbsfähige Industrie zu finden. Die Initiative wird von uns mit 16 Millionen Euro finanziert. Eine ähnliche Stoßrichtung verfolgt das Spitzencluster industrielle Innovation SPIN. Das Mitte November 2019 gestartete Cluster bietet Ruhrgebiets-Unternehmen eine Plattform, um die Transformation der Industrie und des Energiesystems voranzutreiben und den industriellen Kern sowie Wertschöpfung und Arbeitsplätze in der Region zu stärken. Speziell auf kleinere und mittlere Unternehmen sind die Dienstleistungen unserer EnergieAgentur.NRW zugeschnitten.
Welche Bestandteile des Strompreises sollen zusätzlich zur EEG-Umlage gesenkt werden oder wegfallen? Ist zum Beispiel die staatliche Festlegung/Kontrolle bei den Netzentgelten ein Investitionshindernis?
Verbraucher finanzieren die mit der Energiewende verbundenen Kosten zu einem überwiegenden Teil über eine Vielzahl verbrauchsbezogener Steuern und Umlagen – beispielsweise die EEG-Umlage, die KWKG-Umlage, die Offshore-Netzumlage und die Umlage für abschaltbare Lasten. Da der Stromverbrauch nicht linear mit dem Einkommen steigt, sind einkommensschwache Haushalte dadurch überproportional stark betroffen. Hier sind Entlastungen insbesondere bei der EEG-Umlage und der Stromsteuer notwendig, auch um soziale Schieflagen bei der Energiewende zu verhindern und Fehlanreize bei Investitionen in Energieeffizienz und Klimaschutz zu vermeiden. Darüber hinaus sollte der vorhandene bürokratische Aufwand reduziert werden, da er zu unnötigen Belastungen der Wirtschaft führt. Kosten für die Netznutzung sind letztlich Transportkosten, die auch für jedes andere Produkt erhoben werden und gerade im Monopolbereich der Strom- und Gasnetze natürlich staatlich reguliert werden müssen. Dabei ist es aber unser Ziel, mehr Anreize für eine innovative und flexible Bewirtschaftung der Energienetze zu erreichen.
Verbreitet trifft man in Zeiten von Corona auf die Forderung nach mehr Staat und weniger Markt in der Daseinsvorsorge. Muss man daraus Schlüsse für die Energiewende ziehen?
Das Verhältnis zwischen staatlicher und wettbewerblicher Aufgabenerfüllung in der Daseinsvorsorge ist in Bund und Ländern meines Erachtens gut austariert. Eine preisgünstige und sichere Energieversorgung ist ebenso Teil der staatlichen Aufgabenerfüllung wie die Wasserversorgung eine ureigene Aufgabe der Kommunen ist. Die staatliche Aufgabenverantwortung hindert jedoch nicht die Aufgabenübertragung und die Erfüllung durch Dritte. Die wesentlichen Weichenstellungen, die hierbei in der Energie- und Klimaschutzpolitik vorzunehmen sind, erfordern eine kluge Balance der zahlreichen Markt- und Regulationsmechanismen. Als Landesregierung folgen wir der Überzeugung, dass ein technologieoffen ausgestalteter regulatorischer Rahmen, der der Suche nach der besten Lösung Raum und Anreiz gibt, am besten geeignet ist, diese Balance herzustellen. Die Rahmenbedingungen müssen wir so setzen, dass die Unternehmen wie auch die Endverbraucher Planungssicherheit haben, wettbewerbsverzerrende und soziale Härten vermieden und innovative Technologien gefördert werden. So setzen wir auf einen ausgeweiteten CO2-Zertifikatehandel, der diese Kopplung in einem Setting der beschriebenen Balance von regulatorischem Rahmen und freien Marktkräften abbildet, und werben dafür auch auf Bundesebene und international.
Das Interview ist in der Ausgabe 3/2020 des Informationsmagazins "innovation und energie" erschienen.
Thomas Reisz
Kommunikation
EnergieAgentur.NRW
0202 2455247
reisz@energieagentur.nrw
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