Was verstehen Sie unter Digitalisierung?
Digitalisierung ist für mich ein Prozess, der alle Bereiche des Lebens umfasst und die Art wie wir leben, arbeiten und wirtschaften radikal umkrempeln wird. Im Prinzip sind es vier aufeinander aufbauende Elemente
- Vernetzung: Erst haben wir über Mobiltelefone und das Internet nur Personen miteinander vernetzt. Jetzt sind wir in der Lage, alles mit allem zu vernetzen. Hierdurch entstehen ungeahnte Möglichkeiten, aber auch enorme Risiken!
- Intelligenz. Die große Menge an Daten, die wir erzeugen (kombiniert mit neuen Technologien der Datenverarbeitung) ermöglicht es uns, maschinell Muster zu erkennen, Prozesse zu Automatisieren und „intelligente“ Systeme zu entwickeln, die sich zu einem Großteil selbst steuern.
- Geschäftsmodelle: Die nicht-materielle Natur von Daten ermöglicht gänzlich neue Geschäftsmodelle (Stichwort: „Plattform“), bei der eine ganz neue Art der Wertschöpfung in virtuellen und halb-virtuellen Systemen möglich wird.
- Leben und Arbeiten: Letztlich wird die Art, wie wir leben und Arbeiten durch die drei vorherigen Aspekte radikal verändert.
Häufig genanntes Argument für die Digitalisierung ist die Beschleunigung von Prozessen – sie erfüllt damit wohlmöglich die Bedürfnisse nach „höher, schneller, weiter“. Und Digitalisierung bedeutet mehr Energieverbrauch. Ist sie dann nicht eher Teil des Problems statt Lösung?
Digitalisierung sollte kein Selbstzweck sein. Wir müssen die Digitalisierung möglichst für größere Ziele, die wir erreichen möchten, einsetzen. Durch das digital unterstützte Teilen von Ressourcen können wir zum Beispiel Dinge effizienter Nutzen und Synergiepotenziale heben. Ein steigender Energieverbrauch ist nicht per se problematisch, wenn wir eine immer größer Menge an Energie aus erneuerbaren Quellen gewinnen (und auch nutzen) können. Ich würde aber nicht sagen, dass Digitalisierung zwangsläufig mehr Energieverbrauch bedeutet. Durch die intelligente (digitale) Steuerung von Energieverbrauch und Energieerzeugung lassen sich Energieflüsse balancieren (Abwärme wird zur Heizquelle, die Heizung wird zur Kühlung etc.) so dass gegebenenfalls der Energieverbrauch insgesamt zurückgeht.
Wenn eine Stadt oder Region es richtig angeht, verschränkt Sie ihre Nachhaltigkeitsstrategie mit ihrer Innovationsstrategie und wird so zur „Smart City“ oder „Smart Region“ – in der engen Zusammenarbeit mit der lokalen Wirtschaft werden neue Geschäftspotenziale für digitale Technologien erprobt, der Standort gestärkt und gleichzeitig Emissionen und Ressourcenverbrauch gesenkt. Dies setzt allerdings eine entsprechend starke Vision bei Politikern und führenden Köpfen voraus, sowie die Fähigkeit, diese Balance auch gegen Wiederstände aufrecht zu erhalten.
Ungewollte Auswüchse der Digitalisierung (zum Beispiel Bitcoins) müssen in Zukunft aber auf nationaler, beziehungsweise supra-nationaler Ebene besser reguliert werden!
Drei Viertel der deutschen Kommunen schätzen nach Angaben des Deutschen Städte- und Gemeindetages die Kosten für die Digitalisierung als „hoch“ bis „sehr hoch“ ein. Wie würden Sie eine Kommune überzeugen, die meint, Digitalisierung sei zu teuer?
Bei der Digitalisierung handelt es sich um ein klassisches Problem der hohen Anfangskosten – wie bei jeder öffentlichen Infrastruktur. Diese können durch eine Vielzahl an Einsparungen über einen langen Zeitraum wettgemacht werden. Aber mehr noch: digitale Dienste machen eine Kommune attraktiver. Eine digitale Infrastruktur und darauf aufbauende IoT-basierte Lösungen helfen dabei, das Leben für Bewohner deutlicher angenehmer zu machen – zum Beispiel da sie nicht mehr im Stau stehen müssen, geringere Energiekosten haben, bessere Luft atmen, die richtige Unterstützung zur Gründung ihres Unternehmens bekommen etc. Insgesamt ergibt sich so über den Lauf der Jahre ein deutliches Plus. Die Kommunen, die das Thema schleifen lassen, bleiben dagegen auf der Strecke und werden für Ihre Bewohner und die Unternehmen immer unattraktiver.
Konkreten Handlungsbedarf sehen Kommunen – nicht zuletzt durch den heißen Sommer – im Bereich der Klimafolgenanpassung. Was kann Digitalisierung da leisten?
Direkte Linderung bei der Klimaanpassung schaffen wir über mehr Natur in der Stadt und einen besseren Umgang mit Wasser und Grün. Hierfür sind nicht zwangsläufig digitale Werkzeuge nötig. Sensoren und digitale Planungstools können uns dabei helfen, unsere Stadtplanung dem Klima anzupassen – etwa indem wir Investitionen in Stadtgrün, Drainage und Versickerungsflächen auf Basis einer Vielzahl von Daten tätigen.
Die Digitalisierung kann uns allerdings dabei unterstützen, unser Verhalten zu ändern. Darüber leisten wir dann einen weitaus größeren Beitrag zur Klimaanpassung und zur Vermeidung von Treibhausgasemissionen.
Wo sehen Sie – neben der Klimafolgenanpassung – noch Schnittmengen zwischen Digitalisierung und kommunalem Klimaschutz?
Die verstärkte Nutzung von Erneuerbaren Energien in dezentralen Smarten Netzen gehört genauso zur Smart City wie digital unterstützte, intermodale Verkehrssysteme oder auch die Rückgewinnung von Energie aus allen verfügbaren Quellen. Wo ich gerne größere Fortschritte sehen würde, ist bei der wirkungsorientierten Steuerung in den Kommunen. Viel zu selten nutzen Kommunen ein durchgängiges System zur Definition von messbaren Zielen, zur Ableitung von Strategien, zur Finanzierung und Umsetzung von Maßnahmen und Projekten und zu deren Wirkungsmonitoring. Die Digitalisierung gibt uns die Möglichkeit, unsere kommunalen Entscheidungen auf Evidenzen zu basieren. Leider ist das oft politisch nicht gewollt. Hervorzuheben ist hier zum Beispiel die Stadt Ludwigsburg, die mit ihrem System KSIS 2.0 einen wertvollen Piloten im Bereich Wirkungsorientierte Steuerung umgesetzt hat.
Gibt es bereits umgesetzte Beispiele für die „Digitalisierung des Klimaschutzes“ auf kommunaler Ebene? Wie sehen die aus? Wo sind sie zu finden?
Auf Europäischer Ebene gibt es mittlerweile eine große Vielzahl an guten Beispielen für die „Digitalisierung des Klimaschutzes“ auf kommunaler Ebene. Unser Morgenstadt Spin-off BABLE sammelt diese „Use Cases“ und hilft dabei, sie zu skalieren und auf andere Städte zu übertragen. Unter folgendem Link finden Sie 50+ gute Beispiele entsprechend aufbereitet:
www.bable-smartcities.eu/explore/use-cases
Thomas Reisz
Kommunikation
EnergieAgentur.NRW
0202 2455247
reisz@energieagentur.nrw
Sie erreichen die EnergieAgentur.NRW außerdem werktags von 8 bis 18 Uhr über die Hotline unter 0211 - 8371930.